Ich glaube letztes Jahr war es, als ich in einem FaQ beinahe beiläufig erzählt habe, dass ich mich nicht mehr als Aktivistin betrachte. Ich bin aus dem BesD ausgetretten und habe mich seitdem inhaltlich „politische“ Interviews abgelehnt. Einige haben nachgefragt, warum ich das gemacht habe und meine kurze Antwort war: Rassismus!
Eine ausführliche Antwort bin ich bis heute schuldig. Ich habe seit einem Jahr nicht die Kraft, das mit einem öffentlichen großen Publikum zu teilen. Aber ich möchte es wirklich gerne teilen. Ja auch ich bin manchmal nicht klar und zweifel an mir und bin unsicher. Ich denke, dass hier bei euch ein guter Ort ist um diese Erfahrung zu teilen.
Das Video ist bereits vor einem Jahr entstanden, ich habe es aber noch einmal als Audiospur exportiert, sodass ihr euch aussuchen könnt ob ihr lieber zuhören oder auch zusehen wollt.
Ich kann leider nur diesen Teil veröffentlichen, dass hat Gründe im Datenschutz und Urheberrecht. Der Threat und das Forum sind nicht öffentlich einsehbar. Das sind meine Gedanken dazu, die mit Sicherheit nicht die ganzen Abläufe wiederspiegeln.
Ich habe mich seit fast ein Jahr nicht getraut den Text unten zu posten, weil mich bereits die Reaktionen auf mein Ausgangsposting traumatisiert haben. In der Zwischenzeit haben mir mehrere Personen immer wieder zu tiefst rassistische Mails geschrieben und Aussagen getätigt. Ich bekomme bis heute mehrere solcher Mails pro Monat von weißen sexarbeitenden, die für mich unerträglich sind, wie eine Hetzrede von Alice Schwarzer …
Zu aller erst möchte ich meine Aufmerksamkeit auf all diejenigen richten, die sich die Mühe gemacht haben, meine Kritik nachzuvollziehen und mir Mut zusprechen, dass es sich lohnt auf Missstände aufmerksam zu machen. Es war heilsam zu sehen, dass auch andere das Problem erkennen und auch andere marginalisierte Betroffene zu sehen, die sich an dem Thema beteiligen! Leider wurde dieses zarte Pflänzchen schnell zerstört. An dieser Stelle möchte ich die Rhetorik von L., Lady T und Madame S benennen. Denn sie, aber auch andere haben es mit unterschiedlichen rhetorischen Methoden geschafft ein offenes, empathisches und produktives Gespräch zur Überwindung von Missständen zu stören und zum erliegen zu bringen. Dabei wurden von ihnen Methoden benutzt, wie Alice Schwarzer, Inge Bell und Co sie benutzten. Man fasst sie unter dem Begriff Derailing zusammen. Diese Methoden sollen zum Schweigen bringen, Glaubwürdigkeit zerstören, weh tun und erhalten die Strukturen, die ich mit meinem Post benannt habe. Ich habe ein paar dieser Inhalte aus dem Thread herausgezogen und in „Sexworkfeindlich“ bzw. „Sexismus“ übersetzt, der einzige -Ismus den die meisten verstehen.
An Begrifflichkeiten aufhalten
„also ich möchte nicht einen 3-Buchstaben-Sammelbegriff zugewiesen bekommen, der im Deutschen phonetisch wie Pocken klingt – das finde ich schauderhaft“
Es wird über den Begriff PoC (=Person of color; Selbstbezeichnung nicht weißer Menschen)
„Sexarbeiterin? War das ein Versprecher? Für mich hat das doch nichts mit Arbeit zu tun und klingt auch noch so wie Sexmonster… das finde ich schauderhaft“
Diese Praxis ist sehr beliebt. Wir wollen über Menschenrechtsverletzungen, Stigmatisierung und Diskriminierung sprechen. Wir wollen Dinge sagen, die andere aufklären können, endlich einmal unsere eigene Perspektive wiedergeben und jemand fragt immer und immer wieder nach Begrifflichkeiten, die schon mehrfach erklärt wurden und für alle in wenigen Sekunden online abrufbar sind. Es ist nicht mehr möglich über die Probleme zu sprechen, weil jemand erst einmal darüber sprechen möchte, dass Sexarbeit, ja keine Arbeit ist … dabei wird spöttisch über unsere Selbstbezeichnung hergezogen und immer wieder bei den selben Begrifflichkeiten angesetzt. Ein Vorankommen ist unmöglich. Alle Diskriminierungformen, arbeiten damit und setzten hier gerne an. So wird wichtige Redezeit und Energie der Gegenseite verschwendet ohne sich selbst anstrengen oder mit den Kritikpunkten auseinandersetzten zu müssen!
Vorurteilen reproduzieren
„Natürlich will ich damit nicht sagen, dass Menschen mit anderen Hautfarben kein Deutsch sprechen, das bitte nicht so verstehen! …“
„Wenn ich von Sexworkern als Vierenschleudern rede, fühl dich bitte nicht auf den Schlips getreten… Aber ich kenne einige Huren, die Herpes haben und den überall in Deutschland verteilen…Vierenschleuder halt…also du natürlich nicht, aber ich finde wenn wir über Sexarbeit sprechen, dann sollten wir unbedingt über Geschlechtskrankheiten sprechen, noch bevor wir über Menschenrechtsverletzungen, gesellschaftliche Ausgrenzung und meine eigene Verantwortung darin sprechen.“
Das Klischee vom „Ausländer, der kein Deutsch spricht“ muss nicht ständig wiederholt werden, ebenso wenig wie wir mit Geschlechtskrankheiten in Verbindung gebracht werden müssen, wenn wir über Stigma und unsere Lebensrealität sprechen. Die Funktion ist auch hier, von der eigentlichen Thematik abzulenken und der Reputation des anderen zu schaden.
Täter/Opfer Umkehr
„Ich werde wahrscheinlich auch gleich gesteinigt“
„Die Gleichberechtigung ist da und nun werde ICH als Mann durch all die neuen Gesetzte zum Opfer gemacht. Die wollen doch am liebsten gleich hinrichten, wenn ich die falsch angucke.“
Wenn Menschen anderen Menschen mitteilen, dass ihr Verhalten verletzt, bedeutet das keinen Angriff auf eine Person. Man teilt ihr lediglich mit, dass das was sie machen, vielleicht auch warum, weh tut. Dabei wird eine Grenze aufgezeigt, nicht mehr und nicht weniger! Du vergleichst diese Kritik, damit, dass dir Gewalt angetan wird. Das nennt man auch Victim Blaiming. Viele Diskussionen von Sexworkgegner*Innen werden so in eine Richtung gelenkt, die nicht nur unproduktiv ist, sondern den anderen mindestens fragwürdig erscheinen lässt. Die psychologischen Folgen sind für die Betroffenen gravierend.
Rassismus herunterspielen
„Ein großes Problem im Rassismus ist einfach, dass es da bei weissen Menschen ein riesiges PAL-Feld (Problem Anderer Leute) gibt und wir uns immer wieder mit Formulierungen ausdrücken, die verletzend oder beleidigend ankommen.“
„Wissen sie, die hat das einfach falsch verstanden. Sie kennen es doch, wenn die ihre Tage haben werden sie völlig hysterisch und neigen dazu überemotional zu werden… Da wird aus einem falschen Blick gleich eine Sexattake…“
Diese Aussage lässt es so erscheinen, als reagiere ich und andere Betroffene über, sind zu emotional und die Reaktionen auf deine Aussagen unangemessen. Tatsache ist aber, dass du verletzende und beleidigende Dinge von dir gegeben hast. Das gleiche gilt für den „Lauf über Eierschalen“. Es tut mir leid, wenn es dir Probleme bereitet, andere Menschen und ihre Kritik ernst zu nehmen und ihnen menschliches Verhalten zuzugestehen (z.B. das zwei Schwarze Menschen unterschiedliche Haltungen zum selben Thema haben) Deine Erwartungshaltung an Schwarze Menschen ist das Problem. Vom eigentlichen Thema wird abgelenkt, es als Befindlichkeit abgetan und wieder braucht es wenig bis keine Energie, um den anderen abzuwerten und schwere seelische Verletzung zuzufügen.
Menschenrechte verleugnen
„…ich muss gestehen, dass es mir zu komplex ist, mich da einzulesen, was jetzt „richtig“ ist. Ich versuche generell, anders „seiende“ Menschen nicht zu diskriminieren. Vielleicht ist das zu einfach gedacht, aber bisher bin ich mit dieser Methode gut durchs Leben gekommen.“
„…ich muss gestehen, dass es mir zu komplex ist, mich in die Situation von Frauen hineinzuversetzen und zu verstehen was jetzt als „richtig“ gilt. Ich versuche generell, anders „seiende“ Menschen, also Frauen, nicht zu diskriminieren. Vielleicht ist das zu einfach gedacht, aber ich mache einfach weiter wie bisher, mit der Methode bin ich bislang gut durchs Leben gekommen.“
Ich glaube dir aufs Wort, dass du in deinem ganzen Leben kein Problem mit Rassismus hast! Andere Menschen, wie ich z.B. machen für dich diese Erfahrungen, erleiden die Verletzungen und müssen sich damit arrangieren, während du dir einreden kannst Rassismus hat nichts mit dir zu tun und du in aller Ruhe weiter daran arbeiten kannst, dieses System zu erhalten. Alice Schwarzer könnte es nicht besser machen. Warum sollte man auch darauf hören, was Betroffene sagen.. Warum sollte man darauf hören, wenn ich als Schwarze Frau sagen, dass sie Rassismus erfahren hat, du als weiße weißt es ja viel besser. Vielleicht solltest du dann auch anfangen Alice Schwarzer zu glauben, denn nach deiner Logik wird die es mit Sicherheit besser wissen als du.
Wie macht ihr das sonst, wenn Menschen euch sagen, dass das was ihr tut und sagt ihnen Schmerz und Kummer bereitet? Erklärt ihr euren Kund*Innen dann auch, warum ihr der Meinung seid, dass sie überempfindlich regieren, dass sie sich nicht so anstellen sollen, weil ihr gar nicht versteht, dass das weh tun kann? Spielt ihr den Kummer eurer Kinder herunter, weil es euch unangenehm ist, euch mit einem Thema zu beschäftigen? Bezeichnet ihr eure Freund*Innen als eure Peiniger*Innen, weil sie euer Fehlverhalten aufzeigen? Ich ging davon aus, dass ihr mit euren Kund*Innen und allen anderen Menschen mit Empathie entgegentretet und die Quelle für Schmerz und Kummer abstellt, wenn es erforderlich ist. Aber dann frage ich mich, warum macht ihr einen Unterschied, wenn es um Schwarze Menschen ihre Menschenrechte und Gefühle geht?
Diese Fragen sind rhetorische Fragen, also verschont mich mit euren Gedanken dazu!
Ich bekomme seit dem Ausgangsposting mehrmals im Monat E-Mails mit Inhalten „Ich sehe da keinen Rassismus“ „Ich wollte doch nur“ oder später „Die Anti-Diskriminierung AG … “. Dabei wird meist ungehemmt weiter verbale Gewalt ausgeübt, ab und an werde ich „nur“ an dieses Trauma erinnert, selbst unter sexarbeitenden mit aller Gewalt Rassismus ausgesetzt zu werden.
Ich will nichts mehr mit dem Verband oder den weißen Cis Mitgliedern zu tun haben. Schreibt mir nicht, nennt mich nicht, denkt nicht daran, ob ich irgendetwas für euch tun will. Ich will es nicht! Ich habe genug von der verbalen Gewalt die ihr begeht, eurem feigen Schweigen und Desinteresse, als ginge es euch nichts an oder dem verzweifelten Versuchen mich dazu zu bewegen, dass ich sage, dass ihr keine Rassist*Innen seid.
In diesem Verband gibt es so viel -Ismen, dass es mir peinlich ist, mich und meinen Namen dafür hergegeben zu haben. Es herrscht so viel Diskriminierung gegen Schwarze, Transgender, Jüd*Innen und andere marginalisierte Menschen, dass es mich anekelt und ich ausgetreten bin und jede Verbindung zum Verband gekappt habe. Gut gemacht, meine Stimme, die Stimme einer Schwarzen Sexarbeiterin wird hiernach wieder schweigen.